Ein Sommermärchen
Ein Sommermärchen
von Klaus Ahrens
Es war einmal ein Trainer. Der liebte seinen Laufverein über alles. Dieser Laufverein war auch etwas eigensinnig, er hielt sich für den Nabel der Welt und warf alle, die nicht schnell laufen konnten oder wollten oder die sich nicht in die Ordnung einfügen wollten, einfach raus. Wer nicht Marathon laufen wollte, war hier fehl am Platz. Die mussten sich dann einen andern Verein suchen, um eine Sportart zu betreiben, die ihnen lag. Das war vielleicht nicht das Laufen, aber dafür konnten sie vielleicht besser die Kugel stoßen.
Dann fand eines Tages ein großer Marathonlauf statt. Die Mitglieder des Laufvereins, die für nichts anderes trainierten als diesen Marathonlauf, gingen alle an den Start. Im Durchschnitt kamen sie nach 2,59 Stunden ins Ziel. Ihr Trainer war ordentlich stolz.
Die anderen Sportfreunde aber, die nicht alle am Marathonlauf interessiert waren und auch so manch andere Sportart betrieben und darin gut waren, schickten auch eine Gruppe von Freiwilligen an den Start. Das waren Sportler, die bei dem erstgenannten Verein niemals hätten an den Start gehen dürfen, weil sie so anfangs so langsam gewesen waren. Oder es waren Sportler, die erst später ihr Interesse am Marathonlauf entdeckt hatten. Oder es waren Teilnehmer, die eine Bandbreite von Sportarten ausüben wollte, ohne nur an den Marathonlauf zu denken. Manche hatten einfach die Nase voll von dem elitären Getue des Laufvereins. Erstaunlicherweise kamen aber die Freiwilligen, die sich nicht auf den Marathonlauf spezialisiert hatten, nach 2,87 Stunden knapp hinter den Vertretern des Laufvereins ins Ziel.
Dessen Trainer schimpfte über die Teilnehmer aus den anderen Vereinen, sie seien viel schlechter gelaufen als sein Laufverein. Die Zeiten würden das ja klar belegen. Sein Verein sei eben der beste.
Die Freiwilligen aus den anderen Vereinen ließen sich das nicht gefallen. Sie bezeichneten es als Blamage für den hochspezialisierten Verein, dass dessen Mitglieder trotz des jahrelangen Spezialtrainings und der Vergraulung aller Interessenten, die nicht so laufbegabt schienen, nur so knapp vor den anderen Vereinen ins Ziel gekommen seien. Sie meinten sogar, es sei eigentlich eine Schande für den Laufverein, dass die Zeitunterschiede nicht deutlich größer seien. Schließlich erklärten sie, dass in ihren Reihen ja auch Behindertensportler integriert würden, was der andere Sportverein niemals leisten würde. Manche von den Laufsportlern seien Bekannterweise nicht mal in der Lage, eine Kugel auch nur vom Boden aufzuheben, weil das eben nicht ein einziges Mal geübt würde.
Da zog sich der Trainer des Laufvereins schmollend in seine Ecke zurück und erklärte, er habe niemals die anderen Vereine beleidigen wollen, er sei nur falsch verstanden worden, aber sein Verein sei nun mal klar besser und dabei bleibe es.
Und wenn er nicht gestorben ist, dann regiert er heute noch.